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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

presseartikel11.–12. 2000 → Veröffentlichung eines Briefes von Drosdowski
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Zur postumen Veröffentlichung eines Briefes von Prof. Drosdowski im Internet

Wissenschaftliches Ethos und standesgemäßes Handeln 20.12.2000 Helmut Jochems
KOMMENTAR

http://www.rechtschreibreform.com/Perlen/KraftBank/KraftBank.pl?WedDec2014:14:19PST2000

Zur postumen Veröffentlichung eines Briefes von Prof. Drosdowski im Internet

Obwohl ich nicht weiß, wer Herr A. Schmidt (Mannheim) ist und was ihn zu seiner herabsetzenden Kritik an Prof. Ickler motiviert, gebe ich ihm in einem Punkt recht: Der Brief des kürzlich verstorbenen Prof. Drosdowski gehört faksimiliert in unsere drei großen Tageszeitungen, und zwar ohne diskrete Auslassung der Namen. Das Internet ist durch die von Herrn Schmidt mit Recht festgestellte Unseriosität längst so diskreditiert, daß es nicht als Medium für die Verbreitung eines derart bedrückenden Briefes benutzt werden sollte. Eine andere Frage ist die, ob Prof. Ickler in diesem Falle unstandesgemäß gehandelt hat. Gemeint kann doch wohl nur sein: im Hinblick auf seine Stellung als Universitätsprofessor. Das Wesen der Wissenschaft ist bekanntlich der offene Diskurs. Gegen dieses Prinzip hat der kleine Kreis der Rechtschreibreformer seit Jahrzehnten bewußt verstoßen, und dies in dem Wissen, daß seine zweifelhaften Ansichten in einem öffentlichen Fachgespräch keinen Bestand haben würden. Die Rechtschreibreformer haben das gängige Vorurteil, wissenschaftliche Feststellungen seien von Laien nicht hinterfragbar, genutzt, um den in dieser Sache überforderten Kultusministern und ihren Fachbeamten ihre Vorstellungen von einer angeblich verbesserten deutschen Orthographie aufzunötigen. Damit aber nicht genug. Selbstverständlich sind auch die Mitglieder dieses Kreises dem emanzipatorischen Ethos der Wissenschaft verpflichtet, was sich schlecht mit ihrem gegenwärtigen Bütteldienst im staatlichen Auftrag verträgt. Wenn also jemand in den letzten Jahren auf schamlose Weise unstandesgemäß gehandelt hat und handelt, dann zunächst einmal die Verantwortlichen für die Rechtschreibreform. Das Fehlverhalten der einen Seite rechtfertigt natürlich nicht die Regelverletzung auf der Gegenseite.

Was ist aber durch die Vorgänge um die sogenannte Rechtschreibreform nicht alles durcheinandergeraten? Die überwältigende Mehrheit der deutschen Germanistikprofessoren weiß, daß das jetzt an den Schulen praktizierte Regelwerk in vielen Punkten gegen elementare wissenschaftliche Grundsätze verstößt und im übrigen so eklatant der bisherigen Entwicklung der deutschen Rechtschreibung zuwiderläuft, daß es auch ohne weitere Diskussion und ohne einen erneuten staatlichen Eingriff zusammenbrechen wird. Neuerdings ist schamhaft von einer „Erprobungsphase“ die Rede, was Prof. Ickler vor vier Jahren als „menschenverachtendes Massenexperiment“ bezeichnet hat. Ist das Schweigen zu diesem Vorgang standesgemäß? Prof. Drosdowski ist tot und kann seine Haltung nicht mehr rechtfertigen. Sein Leidensgenosse im Internationalen Arbeitskreis war jedoch Prof. Munske (Erlangen). Er hat in mehreren Aufsätzen seine Erfahrungen mit den auch in seinen Augen inkompetenten Kollegen vor der Öffentlichkeit ausgebreitet. Warum schweigt er jetzt? Die schonungslose Aufklärung der Vorgeschichte der Neuregelung könnte die düpierten Kultusminister veranlassen, sich von den unhaltbaren Rechtschreibveränderungen nicht erst in einigen Jahren zu trennen. Wer daran mitwirkt, handelt standesgemäß.

Prof. Ickler hat in den letzten Jahren in drei umfangreichen Arbeiten die ungeschminkte Wahrheit über die Rechtschreibreform verbreitet. Die deutsche Germanistik übergeht sie einfach mit Schweigen, selbst den Kritischen Kommentar zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung, der immerhin dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen hat. Ist die Unterdrückung der Wahrheit standesgemäß? Daß Prof. Ickler nach allen bisherigen Rückschlägen und Mißerfolgen seinen Einsatz für eine vernünftige deutsche Rechtschreibung nicht aufgibt, finde ich im höchsten Maße bewundernswert. Wenn der Spuk einmal vorüber ist, wird man vor allem ihm danken müssen. „Volkstribun“ trifft anders, als Herr Schmidt das meint, den Kern seines Anliegens. Nicht die im Elfenbeinturm vornehm schweigenden Fachkollegen handeln standesgemäß, sondern dieser im höchsten Maße ernstzunehmende Wissenschaftler, der sich nicht nur in wissenschaftlichen Gutachten und Rezensionen, sondern auch in Zeitungsartikeln und Leserbriefen für eine Sache einsetzt, von der alle Bürgerinnen und Bürger betroffen sind. Daß er mit ernstzunehmenden Befürwortern der Rechtschreibreform diskutiert (auch im Internet), liegt auf dieser Linie. Ihm ist nicht anzulasten, daß das neue Medium auch wichtigtuerischem und geschmacklosem Geschwätz offensteht.


Prof. em. Dr. Helmut Jochems
Fachbereich 3 - Sprach- und Literaturwissenschaften
Universität - Gesamthochschule - Siegen